Links oder Rechts. Oder Mensch

Links oder Rechts. Oder Mensch

Übersetzer: Karl Lubomirski
Seitenanzahl: 91 Seiten
Verlag: Berenkamp Verlag, Innsbruck
Jahr: 2005
Sprache: Deutsch
ISBN: 3-85093-900-6


Dass es so was noch gibt: dass sich einer nicht einordnen lässt in ein mit -ismus beschriftetes Kastl, so dass man weiß, wo er hingehört: zu welcher literarischen Richtung, zu welcher politischen Richtung. Man liest und liest, und am Ende weiß man erst recht nicht, ob Karl Lubomirski (geboren 1939 in Hall in Tirol) eher links oder eher rechts ist oder nur ein Mensch, der sehr gut schreiben kann. Ich folge einem seiner Buchtitel: "Links oder rechts oder Mensch" und halte ihn für Letzteres.

Günter Nenning über Karl Lubomirski (26.06.2005 Krone Bunt, S.38)

In dem schmalen Band mit obigem Titel übt er eine vergessene Kunst: Er schreibt Aphorismen. Ein echter Aphorismus darf nicht mehr als fünf Zeilen lang bzw. kurz sein. Lubomirski hält sich eisern dran. Auf jeder der hundert Seiten seiner Sammlung ein Zeugnis seiner Reife und Tiefe, habe ich mir ein oder zwei seiner Sätze angestrichen aus Freude und zukünftigem Gebrauch.
Ein paar der schönsten bringe ich in einem Kasten auf dieser Doppelseite. Jean Paul, der große deutsche Dichter, dessen Texte eher zur ergötzlichen Länge neigen, übersetzte "Aphorismen" sehr treffen mit "Gedankenspäne". In einer Werkstatt, in der gut getischlert wird, gibt es auch schön gekräuselte Hobelspäne - so etwa.

Aphorismen

Wírkliches Unglück:
Blindheit fürs Glück.

Denken Sie so wie ich,
oder sind Sie ein Dummkopf?

Die Vögel singen auch im Winter,
aber man hört nicht auf sie.

Der Begabte schwimmt,
ohne es gelernt zu haben.
Das Talent schwimmt hurtiger
als andere.
Das Genie schwimmt ohne Wasser.

Nach keinem Sturz stehst du als
derselbe auf.

Wenn Gott alles gewährt,
dann gewährt er auch Schmerz.

Wortwörtlich bedeutet das griechische Wort "Aphorismus": "Abgrenzung". Karl Lubomirski grenzt sich ab, sorgfältig oder vielleicht ganz von selber, gegen das heute Gängige und Läufige. Das ist seine eigentliche Rolle in der heutigen Literatur. Eine gegenläufige und doppelsinnige Modernität: Er ist modern, indem er nicht modern ist.

Ein sehr schmaler Band Erzählungen heißt "Bagatellen", zu Unrecht, denn es sind ganze, komplette Lebensschicksale. Von kleinen Menschen kleine Geschichten, an denen nichts dran ist, außer dass sie, auf jeweils wenigen Seiten, mit einer ungeheuerlichen, lakonischen Meisterschaft erzählt werden, die an keinen Heutigen gemahnt, wohl aber an Kleist.

Es gelingen ihm Sätze von sanfter Absurdität. Von einer verarmten, sehr alt gewordenen Aristokratin schreib er, sie habe ihrem Sohn gesagt: "Der Tod sei ein Prolet. Er komme ungefragt zu jedem… eine ungeheure Behelligung…"

Lubomirski weiß, wie das ist mit dem Tod: der Kater August läuft weg, wird wochenlang gesucht, schließlich als Verkehrsleiche aufgefunden, begraben unter Tränen - und plötzlich kehrt er zurück, ins Haus. Eine Auferstehung. Überfahren wurde ein anderer ihm ähnlicher Kater, oder aber: Zurück kehrte ein anderer ihm ähnlicher Katzer. Bei Lubomirski ist nichts ungewöhnlich, außer dass er über das Gewöhnliche ungewöhnlich schreiben kann.

Lubomirski lebt teils im heimatlichen Innsbruck, teils im ebenso heimatlichen Mailand, verdient seinen Unterhalt als Reisender für pharmazeutische Produkte, reiste in ganz Italien und in den Mittelelmeerländern, einschließlich des Nahen Ostens. Darüber schrieb er ein Buch, wie's in der giftig angeschwollenen zeitgeistigen Reiseliteratur sonst keins gibt.

Er hat eine Vorliebe für alte Geschichte, je vieltausendjähriger, desto besser: Was er alles schildert und was er alles nicht schildert - was er alles weiß und ausbreitet oder auch verschweigt - das ist ein Reisender aus einem anderen Jahrhundert, nur halt zufällig mit dem Flugzeug.

Lybien: Spruch des Wüstenvolkes Tuareg: "Komm Fremder, höre hier in der Wüste die Stimme Gottes: die Stille."

Ägypten: "Im Obergeschoß des Museums von Kairo ein verschlossener Saal mit den Mumien von 36 Pharaonen: Es ist gut, dass sich nicht mehr jedes Touristengesicht über die Toten beugen darf."

Assuan: "Der Staudamm hält seit 1971 den Schlamm des Nils zurück. Der anstelle des Schlamms eingesetzte Mineraldünger wird die Böden mit Nitraten und Stickstoff vergiften. Aber in Kairo, 1000 Kilometer nilabwärts, kann man die Leuchtschrift Coca-Cola nachts von den Pyramiden aus lesen."

Tal der Könige: "Ist es Demokratie, wenn wir das Unwiederbringliche gemeinsam zertrampeln?"

Iran: Sprüche von Sadi, dem großen Dichter, 1215-1292, in Schiras. "Ich war traurig, denn ich stand vor der Moschee und hatte keine Schuhe auszuziehen. Da sah ich einen Mann, der keine Beine hatte." - "Ich bin nur Lehm, aber ich lag neben Rosen." - "Ich hatte einen Traum, ich sah alle Tiere beten. Soll ich als Mensch nicht beten?"

"Mailänder Reflexionen "(08/2005 Kulturberichte Tirol und Südtirol 2005 S.302, Jutta Höpfl)

Was immer er unter seine Lupe nimmt, die Kunst oder die Politik, die Frauen und die Männer, das, was Deutsche von Italienern unterscheidet, Gott und Mensch, Her4zensbildung, Reichtum in seinen vielfältigen Gesichtern, Philosophisches über den Tod und die Zeit. immer ist Tiefe, Klarheit, Aufrichtigkeit, Güte und edle Gesinnung in seinen Worten. Sein Umgang mit Sprache, diese Zielgenauigkeit dieser Reichtum an Schattierung und Farbe, das Musikalische darin machen die Gedankensammlung zur Dichtung. Auch Humor, versteckte Satire blitzt durch: "Nieten halten ganze Schiffe zusammen…" Und der Autor schließt mit dem schönen, schlichten Satz: "Wichtiges kann man auch leise sagen"


Sprache bleibt Beschwörung (08/2005 Tiroler Tageszeitung S.6, U.St.)

Karl Lubomirski hat sein erstes Theaterstück geschrieben "Sturm und Geist", das diesen August (jeweils freitags und samstags) in Stift Fiecht bei Schwaz aufgeführt wird. Der Autor schrieb bisher bemerkenswerte Reiseberichte und Erzählungen, gilt aber vorrangig als Lyriker. Viele seiner Gedichte mutierten zu Aphorismen, die Grenze ist fließend. "Sprache bleibt Beschwörung" verrät der Dichter im neuen Band mit knappen Reflexionen "Links oder Rechts oder Mensch". Souverän und hellhörig blättert er im Alphabet, das ihm zu Wörtern kristallisiert, die ihre verborgene Wahrheit preisgeben, als hellsichtige, verzweifelte, entblößende Sinnsprüche: "Entweder man hat die Wahrheit zum Feind oder die Menschen".